Antrag des Umweltausschusses: Klimaneutralität deutlich vor Mitte des Jahrhunderts
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Werner Arndt,
bitte setzen Sie folgenden Antrag auf die Tagesordnung der kommenden Ratssitzung:
Der Rat der Stadt Marl beschließt:
1. Die Verwaltung wird beauftragt, eine Strategie für einen kommunalen Klimakonsens zu begleiten, der sich kurz-, mittel- und langfristig an den Pariser Klimazielen orientiert und eine Erarbeitung und Umsetzung unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Gruppen vorsieht und im Sinne einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft zur Klimaneutralität führt und sich dabei zur Zukunft unseres Wirtschaftsstandorts und zum sozialen Zusammenhalt bekennt.
2. Das kommunale Klimaziel bis 2030 wird auf mindestens 65 Prozent Minderungsquote gegenüber dem Basisjahr 1990 festgesetzt und verbindliche Zwischenziele für die Jahre 2035 und 2040 festgelegt. Der konkrete Pfad soll dann jeweils frühzeitig vor der jeweiligen Etappe in Jahreschritten beschrieben werden. Klimaneutralität wird spätestens in 2045 erreicht.
3. Der auf dieser Zielformulierung aufbauende gesellschaftliche Dialog dient der Verständigung über Meilensteine auf dem Weg zur Klimaneutralität, über grundlegende Ziele, prägende Instrumente und ein abgestimmtes Energiekonzept.
4. Erarbeitet werden soll die Strategie nicht allein durch die Verwaltung, sondern mithilfe von sog. „aleatorischen Verfahren“, um den zu erarbeitenden Konsens auf eine breite gesellschaftliche und damit langfristig tragfähige Basis zu stellen. Die Enquete-Kommission „Subsidiarität und Partizipation. Zur Stärkung der (parlamentarischen) Demokratie im föderalen System aus nordrhein-westfälischer Perspektive“ hat diese Verfahren den Kommunen jüngst zur stärkeren Nutzung empfohlen. Die kommunalverfassungsrechtlich verbrieften Rechte der Vertretung bleiben unberührt.
5. Den Weg zur Klimaneutralität schaffen wir nicht allein mit staatlichen Investitionen, wir setzen dabei auch auf das private Engagement und wollen die Haushalte und Unternehmen durch eine deutlich verbesserte Förderung unterstützen.
Begründung:
Wir bekennen uns klar zu den Pariser Klimazielen und sehen in ihrer Umsetzung eine herausragende nationale wie internationale Gemeinschaftsaufgabe. Wir wollen und müssen handeln aus Verantwortung für kommende Generationen – das ist auch der Auftrag für unsere Stadt Marl, der aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz erwächst.
Mit dem kommunalen Klimakonsens leisten wir einen wichtigen Beitrag zum „Green Deal“ in Europa, zum Klimaschutz in Deutschland sowie in NRW. Wir brauchen insgesamt eine Kraftanstrengung auf allen staatlichen Ebenen, mit der wir als Gesellschaft und als Standort gestärkt in eine klimaneutrale Zukunft gehen. Wir in Marl sind bereit, unseren Beitrag zu leisten.
Dabei muss es immer um Nachhaltigkeit in der ganzen Breite gehen: Ein konsequenter Klimaschutz muss von vorneherein mit wirtschaftlicher Stärke und sozialem Ausgleich in Einklang gebracht werden. Dazu setzen wir auf Innovation, neue Technologien sowie marktwirtschaftliche Instrumente und nicht vordringlich auf Verbote.
Zukunftsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit gehören zusammen. Daher ist unser Ziel: Klimawohlstand. Wir bringen Ökonomie und Ökologie in Einklang und nehmen die Menschen auf diesem Weg mit. Eine Verengung auf nur eine Dimension dieses notwendigen Dreiklangs entzieht dem Prozess die gesellschaftliche Unterstützung und gefährdet damit das Ziel selbst.
Wir wollen die Klimaschutzaktivitäten in dieser Wahlperiode unabhängig von parteipolitischen Überlegungen mithilfe und unter Einbeziehung der Interessen der Einwohnerinnen und Einwohner schnell weiterentwickeln.
Uns ist bewusst, dass die Umsetzung von beschlossenen Klimaschutzaktivitäten besser, schneller und unbürokratischer werden muss.
Grundvoraussetzung für schnelle Verfahren ist ein breiter, tragfähiger gesellschaftlicher Konsens. Um eine größtmögliche Zustimmung zu den notwendigen Maßnahmen zu erreichen, wäre deren Erarbeitung durch einen Bürgerrat sinnvoll. Unter einem Bürgerrat versteht man eine Versammlung zufällig ausgeloster Bürgerinnen und Bürger, die in ihrer Zusammensetzung ein möglichst gutes Abbild der Bevölkerung darstellen sollen. Deshalb werden bei der Auslosung Kriterien wie Geschlecht, Alter, Bildung, Wohnort und Migrationshintergrund berücksichtigt. Grundlage der Zufallsauswahl bilden die Einwohnermelderegister der Kommunen. Hieraus werden zufällig ausgewählte Einwohnerinnen und Einwohner angeschrieben und zur Teilnahme am Bürgerrat eingeladen. Sie können sich dann für eine Teilnahme bewerben.
Die Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Teilnehmenden eines Bürgerrats die Verantwortung sehr ernst nehmen. Der Austausch mit andersdenkenden Menschen bereichert die Debatte und bereitet den Boden für Empfehlungen, die wissenschaftlich fundiert und gesellschaftlich fair sind.
Während sich in anderen Formen der Bürgerbeteiligung – auch im Bereich des Klimaschutzes – oftmals nur bestimmte Bevölkerungsgruppen einbringen (z.B. jene, die sich das Engagement zeitlich und finanziell leisten können) und es somit zu Verzerrungen der gesellschaftlichen Wirklichkeit kommt, spiegelt ein Bürgerrat durch die Zufallsauswahl die Vielfalt unserer Gesellschaft wider. Das steigert die Anerkennung, die ein solches Gremium in der Gesamtbevölkerung genießt. Und wenn Politiker die Breite der Gesellschaft in ihrem Rücken wissen, fühlen sie sich ermutigt, langfristige, zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen.